Citizen Science-Koordinatorin, Anya Astrafurova "Die Arbeit in den Polarregionen hat mir geholfen zu erkennen, wie eng wir alle miteinander verbunden sind und wie unsere Handlungen andere beeinflussen können."
Wie haben uns mit Anya Astrafurova von Swan Hellenic getroffen, um mehr über Meeressauger, Citizen Science und vieles mehr zu erfahren…
Hallo Anya, was hat Ihre Leidenschaft für die Meeresbiologie zuerst geweckt?
Anya: Als Kind war ich von BBC-Dokumentationen besessen. Mit acht Jahren sah ich eine über die Arktis, die mich mit Eisbären bekannt machte. In der Dokumentation heiß es, dass der Klimawandeln dazu fuhren konnte, dass diese wunderschonen Tier bis 2050 aufgrund des Schwimmenden Meereises aussterben. Als sehr sensibles, aber entschlossene Kind beschloss ich, dass ich die Arktis besuchen musste, bevor sie verschwanden. Erstaunlicherweise nahm ich 14 Jahre später an meiner ersten Expedition nach Spitzbergen teil – und mein Traum wurde wahr! Seitdem dreht sich meine Leidenschaft um alles, was mit dem Ozean und den Polarregionen zu tun hat.
Können Sie uns mehr über Ihre Leidenschaft für die Polarregionen erzählen?
Anya: Die Arktis und die Antarktis fühlen sich so fremdartig an – fast wie der Weltraum! Jede Saison entdecke ich neue Dinge, lerne dazu und erforsche die Tierwelt. Deshalb habe ich einen Master in Polar- und Meereswissenschaften gemacht und mich auf die Meeresbiologie der Polarregionen spezialisiert. Heute habe ich meinen Traumjob und reise, um Wale, Flossenfüßer und Eisbären zu erforschen.
Welche besondere Herausforderung bringt das Studium von Meeressaugern mit sich?
Anya: Das Wetter ist die größte Herausforderung, wenn man in die Arktis oder Antarktis forscht. Es kann sich innerhalb von Sekunden andern und selbst die bestgeplanten Vorhaben durchkreuzen – Flexibilität ist also unerlässlich. Diese unvorhersehbaren Bedingungen sind jedoch nicht nur Herausforderungen, sondern bereichern die Erfahrung und lassen uns die Reise sowie die raue Schönheit der Regionen umso mehr wertschätzen. Wir lieben diese Regionen in all ihren Facetten und teilen unsere Begeisterung mit unseren Gästen, die so die wetterabhängige Natur der Polarexpeditionen verstehen und schätzen lernen.
Herausforderungen annehmen
Erzählen Sie uns von Ihrer Arbeit mit SH!
Anya: Ich arbeite für Swan Hellenic als Expeditionsführerin, Dozentin, Meeresbiologin und Citizen Science-Koordinatorin, vor allem in den Polarregionen. Meine Rolle umfasst viele Aufgaben: Ich vermittle Wissen und begleite Gaste – sei es bei Anlandungen, Zodiac-Fahren oder durch Vorträge, Präsentationen und Workshops an Bord. Unsere Mission ist es Wissen zu teilen, aber auch von der Umgebung, in der wir reisen, und von unseren Gasten zu lernen. Sie sind abenteuerlustige und wissbegierige Menschen, und es ist eine Freude, Erfahrungen und Geschichten mit ihnen auszutauschen.
Wie sind erstmals in das Swan Hellenic Citizen Science-Programm eingebunden worden?
Anya: Als ich zum ersten Mal an Bord der SH Vega ging, hatte ich den Wunsch, ein Citizen Science-Programm zu entwickeln, da ich fest davon überzeugt bin, dass Citizen Science ein wichtiges bildungspolitisches Instrument ist. Happywhale ist eine Plattform, die Fotos von Meeressaugern sammelt – aufgenommen von Burgerwissenschaftlern aus der ganzen Welt. Diese Plattform dient der Forschungsgemeinschaft als wertvolle Datenquelle für viele Wal- und Robbenarten. Die Foto-Identifikation wird seit Jahrzehnten von Wissenschaftlern genutzt – dabei ermöglichen individuell erkennbare Merkmale an den Tieren eine langfristige Nachverfolgung. Fotos von Citizen Scientists können somit zu hochwertigen wissenschaftlichen Daten werden. Happywhale unterstutzt Forschende bei der Untersuchung zentraler ökologischer Fragestellungen wie Lebensdauer Forschende bei der Untersuchung zentraler ökologischer Fragestellungen wie Lebensdauer und Überlebensraten, Populationsgesundheit, Migrationsmuster oder auch sozialer Dynamiken wie Familienstrukturen. Citizen Science ist insbesondere in den Polarregionen von großer Bedeutung, da diese sehr abgelegene und schwer zugangliche Gebiete sind. Außerdem ist Forschung in der Arktis und Antarktis äußerst kostenintensiv, und es stehen vergleichsweise wenige Daten zur Verfügung. All diese Faktoren fuhren zu großen Lücken in unserem Verständnis der empfindlichen polaren Ökosysteme – und es gibt noch vieles, das wir darüber lernen müssen. Ich bin meinem Unternehmen sehr dankbar, dass es dieses und andere Projekte unterstutzt, die Wissen vermitteln und Gaste einbinden – was die Erfahrung für alle Beteiligten bereichert.
Können Sie uns durch einen typischen Tag in Ihrem Leben führen?
Anya: Nun, alles hangt stärkt vom Wetter ab! Wenn die Wetterbedingungen ideal sind, beginnen wir früh, besprechen mit dem Expeditionsleiter die Tagesplanung und organisieren die Anlandungen. Morgens gibt es eine erste Aktivität, nach dem Mittagessen folgt ein weiterer Ausflug, und am Abend halten wir Briefings oder Ruckblicke ab. Wenn das Wetter außergewöhnlich gut ist, frugen wir manchmal sogar eine dritte Aktivität am Abend hinzu! An See tagen passen wir uns mit Vortragen, Workshops und Unterhaltungsformaten wie Quizrunden an. Unabhängig vom Wetter steht das Team immer an Deck und halt nach Tieren Ausschau – denn draußen sieht man immer etwas Besonderes.
Leben auf See
Wie wichtig ist Teamgeist, wenn Sie auf einem Schiff arbeitet?
Anya: Teamgeist ist von äußerster Wichtigkeit. Die Menschen, mit denen man arbeitet, prägen maßgeblich die Atmosphäre an Bord. Wir verbringen fast 24 Stunden am Tag miteinander – wir arbeiten zusammen, essen gemeinsam und begegnen gemeinsam Herausforderungen. Auch wenn die SH Vega ausreichend Platz bietet, ist sie dennoch ein geschlossener Raum, den wir nicht einfach verlassen können – daher ist es wichtig, dass wir ein gutes Miteinander pflegen. Glücklicherweise sind die Menschen in dieser Branche intelligent, einfühlsam und verständnisvoll. Wir heben gegenseitig unsere Stimmung – sei es beim gemeinsam Kaffeetrinken, beim Speilen oder beim gemeinsamen Filmschauen am Abend.
Wie gehen Sie damit um, so lange auf See zu sein?
Anya: Heute denk ich gern nicht mehr darüber nach – das Leben auf See fühlt sich für mich wie ein zuhause an. Für mich macht eine gut strukturierte Routine den entscheidenden Unterschied Mein persönlicher Ruckzugsort ist die Bibliothek. Dort finde ich meine Ruhe – ich bereite meine Vorträge vor, höre Musik oder unterhalte mich mit Gästen.
Was genießen Sie am meisten an Ihrem Beruf?
Anya: die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite! Auch wenn viele annehmen wurden, dass die Tierwelt meine größte Leidenschaft ist – mein Expeditionsteam und unsere Gäste sind der wahre Grund für mein Gluck. Ich lerne ständig von ihnen, sie bringen mir immer wieder neue Dinge bei. Ohne sie wäre selbst die schönste Tierbegegnung nicht dasselbe. Deshalb stehen für mich immer die Menschen an erster Stelle.
Wie hat Ihre Arbeit Ihre Sicht auf die Natur beeinflusst?
Die Arbeit in den Polarregionen hat mein Leben in ein „Vorher“ und „Nachher“ geteilt. Sie hat mir vor Augen geführt, wie tief wir alle miteinander verbunden sind und wie stark unsere Handlungen andere beeinflussen können. Was ich an den Polarregionen am meisten liebe, ist, dass sie mir immer wieder zeigen, wie wichtig es ist, den Moment zu schätzen – jede Tierbegegnung, jede Begegnung mit einem Menschen – und nichts als selbstverständlich hinzunehmen. Ich liebe das Zitat von David Attenborough: „Niemand wird etwas schützen, das ihm gleichgültig ist, und niemand wird sich für etwas interessieren, das er nie erlebt hat“. – ein Gedanke, den ich mit selbst immer wieder ins Gedächtnis rufe und den ich auch mit unseren Gästen teile.
Spannende Projekte
Wie binden Sie Gäste in die Citizen Science-Projekt ein?
Anya: Wir geben zu jedem Projekt, an dem wir teilnehmen, Ruckblicke. Draußen im Feld fuhren wir wahrend Zodiac-Fahrten eine Aktivität durch, die wir „Science Boat“ nennen. Unsere Gäste nehmen dabei an echten Erhebungen teil – Sie sammeln Proben von Phytoplankton, messen die Secchi-Tiefe, den Salzgehalt, die Leitfähigkeit und die Temperatur des Wassers, und lauschen mit einem Hydrophon den Geräuschen von Walen, Robben oder treibendem Bürsteneis mit einem Hydrophon. An Land erfassen wir Fotodaten zu Schneealgen. Außerdem bieten wir Workshops in unserem Expeditionslabor an, wo die Gäste Möglichkeit haben, echte Barten, Walknochen, Seepocken auf der Haut von Walen zu berühren und Phytoplankton, Krill oder Plastik aus Wal Mägen unter dem Mikroskop betrachten können. Wir verbinden Wissensvermittlung mit praktischem Erleben – das hilft unseren Gasten, die Umgebung, in der sie reisen, besser zu verstehen und zu schätzen. Sie lernen mehr und behalten das Wissen besser, wenn sie aktiv mitwirken.
Welche Werkzeuge stehen für die Citizen Science-Projekte zur Verfügung?
Anya: Das hängt wirklich vom jeweiligen Projekt ab. Manche sind ganz einfach – manchmal reicht es schon, eine Kamera dabei zu haben und ein Foto zu machen! Zum Beispiel dokumentieren wir das Wachstum von Schneealgen, indem wir einfach Veränderungen in der Färbung fotografieren und die Daten anschließend in eine spezielle App hochladen. Im Rahmen des Secchi-Disk-Projekts bringen wir unseren Gasten die Welt des Phytoplanktons naher. Mit Hilfsmitteln wie Phytoplanktonnetzen und Secchi-Scheibem sammeln wir Proben, die wir anschließend unter unseren Bordmikroskopen analysieren. Diese winzigen Organismen sind nicht nur für das gesamte marine Ökosystem essenziell, sondern auch für uns – Phytoplankton produziert über 50% des Sauerstoffs, den wir atmen!
Was sind die lohnendsten Aspekte er Arbeit mit Citizen Science-Projekten?
Anya: Strahlende Augen! Wenn beispielsweise ein Gast Krill unter dem Mikroskop betrachtet und dabei erfahrt, dass diese kleinen Krebstiere eine unglaubliche Fähigkeit besitzen – nämlich so viel Kohlenstoff zu speichern, wie dem Ausstoß von rund 35 Millionen Autos pro Jahr entspricht – dann ist das ein Aha-Erlebnis. Gerade jetzt brauchen wir den „mächtigen Krill“ mehr denn je. Wenn Gäste etwas Neues lernen, wächst ihre Neugier. Je mehr Fragen sie stellen, desto großer wir ihr Interesse – und genau das ist für mich das beste Zeichen, dass wir gute Arbeit leisten.
Wie trägt Swan Hellenic zum Naturschutz und Umweltschutz bei?
Anya: Ich bin sehr stolz darauf, dass wir mit Forschenden, Wissenschaftlerinnen und Naturschutzorganisationen zusammenarbeiten. Wir laden regelmassig Wissenschaftler an Bord ein und unterstützen Organisationen, indem wir Proben für ihre Projekte sammeln. Durch die Erhebung zusätzlicher Daten vertiefen wir unser Verständnis – und haben wiederum mehr Wissen, das wir mit unseren Gästen teilen können!
Meeresmomente
Welche Meeressäuger faszinieren Sie am meisten und warum?
Anya: In der Arktis ist es ganz klar der Eisbar – mein Kindheitstraum. Ich werde nie müde, ihnen zu begegnen. Manchmal werde ich sogar ein wenig zu emotional. Ich bewundere ihre Ausdauer, ihre Geduld und ihre Stärke zutiefst. Besonders beeindrucket mich, wie sie stundenlang regungslos neben einem Atemloch im Eis sitzen können, in der Hoffnung, dass eine Ringelrobbe auftaucht. Oder wenn Eisbärenjunge ihrer Mutter folgen und jeden einzelnen ihrer Schritte nachahmen – das berührt mich jedes Mal aufs Neue. In der Antarktis sind es eindeutig die Schwertwale. Ihre Intelligenz, ihre soziale Organisation, ihre ausgeklügelten Jagdtechniken und die Tatsache, dass wir trotz aller Forschung noch so wenig über sie wissen, faszinieren mich. Sie sind geheimnisvolle, epische Raubtiere – und ich empfinde es als großen Privileg, ihnen begegnen zu dürfen.
Und welche Meeressäugerarten mögen die Gäste von Swan Hellenic am meisten?
Anya: Jede Tierbeobachtung verwandelt Gäste jeden alters in neugierige Kinder, die sich über jedes noch so kleine Naturerlebnis freuen. Ich liebe es, ihre Begeisterung zu sehen – sei es, wenn sie einen Polarfuchs beobachten, der hinter einem Hang verschwindet, oder wenn ein Buckelwal zu Atem an die Wasseroberflache kommt. Das charakteristische Geräusch, wenn der Wal ausatmet – dieser „Blas“ – ist etwas ganz Besonderes.
Wie gut sind die Gäste von Swan Hellenic im Identifizieren von Meeressäugern?
Anya: Die Gäste von Swan Hellenic sind ausgesprochen gut darin, Meeressauger zu identifizieren. Viele von ihnen sind erfahrene Reisende mit einer tiefen Leidenschaft fur die Regionen, die wie besuchen. Ich schließe meine Vorträge oft mit einem kleinen Quiz zur Bestimmung von Walen und Flossenfüßern ab – das kommt sehr gut an, denn es ist eine unterhaltsame und zugleich lehrerreich Art des Lernens!
Können Sie eine besondere denkwürdige Begegnung mit einem Meeressäugern teilen?
Anya: Es gab so viele unvergessliche Momente! Einer sticht jedoch besonders hervor – in der Antarktis. Letztes Jahr, nach einer unserer Buckelwalbeobachtugen, heb ich – wie immer – die Fluke des Wals in der Happywhale-Datenbank überprüft, um zu sehen, ob das Tier bereits bekannt war. Und tatsachlich: Die Wale waren neu für die Wissenschaft! Ich habe diese spannende Entdeckung sofort unseren Gästen mitgeteilt – die Freude war riesig! Zwei Gäste wollten den neu entdecken Wal adoptieren, überließen mir jedoch die Namenswahl. Also habe ich ihn nach meiner verstorbenen Großmutter benannt – Babuschka Nina (Großmutter Nina)! Wie man sieht, hat jeder Wal seine eigene Geschichte – und jetzt fühle ich eine ganz besondere Verbindung zum Wal Babuschka Nina. Jeder kann sie über Happywhale suchen und ihre Geschichte weiterverfolgen. Ihre ID dort lautet HW-MN1305566.
Welchen Rat wurden Sie angehenden Meeresbiologen geben?
Ergreifen Sie Chancen! Selbst wenn Ihr Traum darin besteht, Spitzen Prädatoren wie Eisbären oder Wale zu erforschen, sollten Sie keine Expedition ausschlagen, bei der es „nur“ um das Sammeln von Phytoplanktonproben geht – Sie wissen nie, wem Sie begegnen werden. Kontakte sind von enormer Bedeutung, und viele bekannte Persönlichkeiten in der Wissenschaft sind überraschend bescheiden und bereit, ihr Wissen weiterzugaben. Wissenschaft lebt von Austausch – und wer den Kontakt zu Expertinnen und Experten sucht, kann unschätzbar wertvolle Rastschlage erhalten!
Anya Astafurova, SH-Meeresbiologin, Expeditionsteam